Seid LAUT gegen Alltagsrassismus!

Wir standen an der abgesperrten Straße. Vor uns Polizei, hinter uns Polizei, neben uns Polizei. Dann kam er. Der Mob der demonstrierenden Neonazis. Parolen brüllend. Schwarz-weiß-rote Fahnen. Banner angefüllt mit Hass. Wir schrien ihnen entgegen, was wir von ihnen hielten. Trillerten so laut wir konnten, um ihre Hetze zu übertönen. Plötzlich dann der Böller, der in unsere Richtung flog. Selbst gebaut. Wir versuchten ihn auszutreten, dachten erst an eine Rauchbombe. Die Explosion verletzte fünf Menschen. Durch herumfliegende Teile und den lauten Knall.

Ja. Das ist Rechtsextremismus in Deutschland. Die richtig radikalen Neonazis, die sich offen bekennen, die gewaltbereit sind. Da sind die Fronten auch klar.

Klar gehe ich gegen solche Rechtsextremen auf die Straße. Auch nach diesem Erlebnis auf der Demo in Dortmund. Nach diesem Schreck, wo die rechte Gewalt plötzlich ganz nah war.

In meiner Kleinstadt ist die extreme rechte Szene nicht so richtig ausgeprägt. Meistens muss man als alternativer Mensch keine Angst haben auf die Straße zu gehen, aber selbst hier ist sie vorhanden. In der noch kleineren Nachbarstadt wurde mein Bruder vor einigen Jahren als 15 jähriger Punk nach der Schule zusammengeschlagen. Weil er einen Anti-Nazi Aufnäher auf seiner Jacke hatte. Wurde von älteren Schülern gerettet.

Und naja, auch hier sitzt ProNRW mit einem Sitz im Stadtrat. Der Ratsherr hat Verbindungen in die Kameradschaftszene, die er nicht mal leugnet. Zu sehen in dieser Reportage, wo er sogar namentlich genannt wird (min 6:50) und auf einer Kameradschaftsdemo vorweg läuft.

All das ist in Deutschland vorhanden. All das ist verdammt schlimm. Aber immerhin ist klar, dass das fiese Nazis sind.
Sehr traurig macht mich darüber hinaus der latent vorhandene Alltagsrassismus. Der Rassismus, die Diskriminierung, die gesellschaftlich akzeptiert ist. Die normal zu sein scheint. Den man im Supermarkt an der Kasse, auf der Arbeit und an der heimatlichen Kaffeetafel hört.

Im Januar 2013 habe ich meine Ausbildung abgeschlossen. Vorher war ich in einer Berufsschulklasse, in der dieser Alltagsrassismus ziemlich en vogue war.

Als wir uns einmal über Männer redeten, da sagten 4 oder 5 Mädchen ganz selbstverständlich, dass ihre Eltern ihnen natürlich gesagt hätten sie sollten „bloß keinen Türken mit nach Hause bringen“. Ich war entsetzt. Quasi als einzige außer dem einzigen türkisch-stämmigen Mitschüler. Für die anderen war es normal was gegen ‚die Türken‘ zu haben. Alles Machos. Alles Leute wo man als Frau ja Angst haben muss nicht geschlagen zu werden. „Ja, dich meinen wir natürlich nicht!“ zum Mitschüler. Da war es wieder. Alle sind scheiße. Per se. Außer der einen lobenswerten Ausnahme, die man näher kennt. Mich bedrückt sowas zutiefst.

Anderes Beispiel: In Hagen knallt ein Familienvater seine Frau und seinen Sohn ab. Ein weiterer Sohn rettet sich verstört auf die Straße. Da denkste der normale mitfühlende Mensch ist mit den Gedanken bei dem Sohn, der nun für sein Leben traumatisiert ist. Falsch gedacht. Lakonischer Kommentar von $Menschen: „Joa. War halt ne Türkenfamilie, was willst du erwarten?“
Was zur Hölle?

Und ich möchte daran erinnern: Wir leben in einer Zeit in der hunderte Menschen an den Grenzen Europas jämmerlich ertrinken, unter anderem weil die europäische ‚Agentur‘ Frontex überfüllte Flüchtlingsschiffe wieder zurück aufs offene Meer schickt. Armutsflüchtlinge will man nicht in Europa. Man wirbt in Deutschland zwar um gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland aber Menschen die das pure Elend übers Meer treibt, die will man nicht. Die bringen Deutschland nichts. Denen muss man mit Härte begegnen, sagt unser Innenminister Friedrich.

Stattdessen gibt es in Deutschland Fackelmärsche gegen Flüchtlingsunterkünfte. Im Jahr 2013. Tatsächlich.

Schlimm in diesen Tagen ist außerdem der geschürte Hass gegen Roma. Da wird über eine Familie in Griechenland berichtet, bei der ein kleines blondes Mädchen gefunden wird. Untersuchungen zeigen dass das Mädchen nicht das leibliche Kind des Paares ist. Und schon wird am deutschen Küchentisch auf der Familienfeier (Ja, meinem Geburtstag… grummel)  gemutmaßt. „Das Mädchen war ja strohblond, so hübsch! Das kann ja nicht deren Kind sein. Vielleicht haben sie es gestohlen!“ Ja wunderbar. Blond scheint immer noch ein Stereotyp sein, der Deutsche zu beschissenen Bemerkungen verleitet. Aber was willst du machen. Dass das Kind tatsächlich die Tochter von Roma ist… tja, wer hätte das ahnen sollen.
Und die Roma, die in Deutschland leben, die sind alles Schmarotzer, sagen sie. Die nehmen unser Sozialsystem aus. Ich könnte kotzen, wenn ich die ewig gleichen Vorurteile höre.

Mir tun dieser ganze Alltagsrassismus weh. Er ist überall. Man liest ihn im Netz, man hört ihn in Gesprächen mit Kollegen, man liest ihn in reißerischen Artikeln in der Presse. Ich habe ihn im Wahlkampf zur Genüge an Infoständen gehört, und in der ganzen Berichterstattung über und vom der AfD, die ein Forum für ihre Propaganda bekam.

Ich möchte euch bitten: Wenn Menschen in eurem Umfeld Vorurteile haben, bitte nehmt sie nicht einfach hin, wenn ihr sie entgegnen könnt. Bitte steht gegen Alltagsrassismus auf. Ich glaube nicht, dass die meisten Leute rechtsextrem eingestellt sind, aber sie sind vielleicht geblendet. Gebt ihnen nicht durch Schweigen recht. Ich möchte nicht in einer feindlichen Umgebung leben, in der ‚Fremde‘ nicht erwünscht sind. Deshalb verspreche ich, dass ich Vorurteilen und Verurteilungen von Menschen in meinem Umfeld entgegentreten werde.
Macht ihr mit?

Und noch was für die NRWler: Am 9.11. wird vermutlich ProNRW in Duisburg gegen die Roma dort demonstrieren. Falls das nicht verboten wird, sollten wir alle dorthin. Uns dem entgegenstellen.
Seid ihr dabei?

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2 Antworten zu Seid LAUT gegen Alltagsrassismus!

  1. sabinemartiny schreibt:

    Hat dies auf Sabinemartiny's Blog rebloggt und kommentierte:
    einfach gut und wichtig!

  2. sabinemartiny schreibt:

    danke Maja! Du nötigst mir jeden Tag mehr Hochachtung ab!
    Mehr Menschen wie dich sollten auch bei Piraten zu finden sein!
    Auch bei uns wird ausgegrenzt, zwar anders – aber drum nicht besser!

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